Covid-19 ist eine Bewährungsprobe für den liberalen Rechtsstaat

Im Interview mit dem Gründer des Zentrums Liberale Moderne, Ralf Fücks, erklärt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, warum in der aktuellen Coronakrise zwar Freiheitseinschränkungen nötig sind, diese aber auch immer wieder überprüft und schnellstmöglich aufgehoben werden müssen.

Denn zum einen ist der Staat zwar in Zeiten einer Pandemie gefordert, dennoch ist eine kritische Analyse staatlichen Handelns gerade in Krisenzeiten notwendig. "Das kann natürlich nicht dazu führen, dass so ein besonderer Ausnahmezustand, schleichend zu einem Dauerzustand wird, oder zu etwas wird, was die Bürger bereitwillig in anderen Situationen akzeptieren wollen", so die ehemalige Bundesjustizministerin. Denn zur Zeit fordern Bürger den Staat dazu auf, die Notstandsgesetze in der Corona-Krise anzuwenden. Selbst die Diskussion über eine Überwachung der Smartphones von Bürgerinnen und Bürger, um die Einhaltung der Ausgangssperren zu kontrollieren, zeigt, wie schnell die Gesellschaft bereit ist, Freiheit für Sicherheit einzutauschen.

Leutheusser-Schnarrenberger fordert eine kritische Bewertung der getroffenen Maßnahmen "und immer auch das Einfordern: Überprüft es in kurzen Abständen. So etwas darf nicht mal eben für mehrere Monate gelten, sondern es muss immer wieder zeitlich befristet überprüft werden, dass wir niemanden außerhalb unserer Familie zum Beispiel mehr treffen können." Eine fixe Gesetzesverabschiedung, wie es in der Corona-Krise der Fall ist, dürfe nur ein Einzelfall bleiben. "Ich glaube, das, was im Bundestag vor kurzem passiert ist, in einer Woche – quasi in vier Tagen – ein Gesetz in erster, zweiter, dritter Lesung zu beraten, teilweise dann natürlich ohne Ausschreibung, das kann nur die Ausnahme bleiben", so Leutheusser-Schnarrenberger.

Das Parlament müsse unbedingt regelmäßig entscheiden, ob die Gesetze weiterbestehen oder ob die Maßnahmen beendet werden können. "Das sind wenigstens einige demokratische Eckpfeiler, die auch in dieser Situation jetzt natürlich feststehen müssen. Wir brauchen das Parlament und ich glaube, so eine Gesetzgebung, die kann man auch nicht immer wieder mal eben schnell wiederholen, das kann nur die Ausnahme sein. Man hat es ja kaum lesen können, da war es schon im Gesetzblatt".

Grundrechtsschonende Wege finden

Die ehemalige Bundesjustizministerin weist zudem auch darauf hin, dass bei unveränderter Situation die Maßnahmen hinterfragt werden müssten. Eine Möglichkeit sei es dann, intelligentere Maßnahmen, wie beispielsweise eine höhere Anzahl an Tests, einzusetzen, die es erlauben, infizierte Menschen und ihre Kontaktpersonen zu identifizieren. Bei der digitalen Rückverfolgung der Infektionsketten durch Smartphones fordert die Liberale jedoch grundrechtsschonende Wege zu finden. "Das heißt, mit weniger Daten, nicht alle auf einen Zentralrechner gespeichert, mit einer Technik, die gerade die Verbindung von Menschen zu Menschen erfasst, also Bluetooth, dass mit so einer Technik und dann mit solch einem Tracking ein weniger intensiver Eingriff da ist in die Persönlichkeit des Einzelnen".

Dass demokratische Länder wie Italien oder die USA mehr Corona-Tote zu verzeichnen haben als das autoritär geführte China beunruhigt sowohl Fücks als auch Leutheusser-Schnarrenberger. Sie beide sehen darin die Akzeptanz und Legitimität liberaler Demokratien gefährdet. "Denn dass Menschen jetzt darauf schauen, wie effektiv und effizient handelt ihre Regierung und sie auch danach bemisst … das glaube ich, versteht jeder von uns und das muss man auch sehr sehr ernst nehmen", so die Liberale. Wenn liberale Demokratien wie beispielsweise die USA beim Krisenmanagement nicht überzeugen und nicht vorausschauend agieren, sei die Gefahr groß, dass die Bürger ihr Vertrauen in ihre Regierung und somit auch in liberale Demokratien verlieren. Leutheusser-Schnarrenberger befürchtet, dass dann der Weg eben auch für Populisten "welcher Couleur auch immer" frei sei.

Beruhigend: Für Deutschland sieht die Liberale diese Tendenz nicht. "Denn ich glaube, da ist bei allem, was auch ich hier immer nachfrage und auch kritisch betrachte, doch ein Prozess im Gang, wo viele Bürger sehen, dass hier sehr gerungen wird, einen richtigen Weg auch immer mit Überprüfungen wieder zu finden und wir darüber auch Transparenz und Diskussion haben." Es sei jetzt besonders wichtig, dass wir die Bedeutung liberaler Demokratien für die Zeit nach der Krise sichtbar und deutlich machen. Man müsse heute die demokratischen Mechanismen, "die eben auch handlungsfähig sind in der Krise" sichtbar und deutlich machen, so die NRW-Antisemitismus-Beauftragte.

Orbans Notstandsgesetz

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat sich vom Parlament seines Landes umfassende Vollmachten geben lassen, angeblich um die Corona-Pandemie zu bekämpfen und ihre Folgen zu bewältigen. Mit dem verabschiedeten Notstandsgesetz ist es dem rechts-nationalen ungarischen Regierungschef möglich, ohne zeitliche Befristung auf dem Verordnungsweg zu regieren. Und was macht die EU? Leuheusser-Schnarrenberger meint, es handle sich um eine Situation, die sich bereits vor der Corona-Krise abzeichnete. "Das ist jetzt aber nochmal eine Schippe wirklich draufgelegt, jetzt ist ganz klar in welche Richtung Orban geht, das ist nicht Demokratie, das ist ein anderes System", kritisiert die Liberale.

Sie sei enttäuscht von Ursula von der Leyen, dass sie als EU-Kommissionspräsidentin dazu noch keine klare Stellung bezogen habe, anders als beispielsweise der luxemburgische Außenminister, "der sehr klar gesagt hat: Das können wir nicht hinnehmen als Europäische Union." Die Prognose der ehemaligen Bundesjustizministerin fällt eindeutig aus: "Ich denke, das stürzt natürlich die Europäische Union nochmal in eine schwierige Situation, aber der kann sie nicht ausweichen." Auch wenn die Mechanismen der EU gegen die Mitgliedsstaaten eher schwach, aufwendig und aufgrund der notwendigen Einstimmigkeit schwierig durchzusetzen seien, dürfe man auf keinen Fall unter dem Motto „Hoffentlich merkt es keiner, wir haben genug anderes zu tun“ darüber hinweggehen.


Ralf Fücks im Gespräch mit Sabine Leu­theus­ser-Schnar­ren­ber­ger


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