Zuckerberg verwandelt Facebook in eine Plattform für Hass und Hetze

Der bisherige Faktencheck war keineswegs perfekt. Doch die Argumentation, seine Abschaffung stärke die Meinungsfreiheit, ist heuchlerisch, meint Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Erstmals veröffentlicht auf handelsblatt.de am 16. Januar 2024


Mark Zuckerberg verkündet, dass Facebook und Instagram Meinungen nicht länger zensieren. Prompt folgen die erwarteten Reaktionen: Selbsterklärte Verteidiger der Meinungsfreiheit feiern den Schritt als Sieg über vermeintliche Zensur, auch hier in Deutschland. Staatsgläubige Aktivisten hingegen fürchten das Ende der Demokratie und fordern rechtliche Schritte gegen den Konzern. Wieder einmal stehen sich zwei Lager in einem unversöhnlichen Kulturkampf gegenüber, der nur Schwarz-Weiß-Denken kennt.

Bisher arbeitete Zuckerbergs Konzern Meta zur Überprüfung viraler Posts mit externen Organisationen zusammen, die sie prüften, bevor die Algorithmen sie mit weiterer Reichweite belohnten. In Deutschland und der EU übernehmen Nachrichtenagenturen wie dpa und AFP oder Recherchenetzwerke wie Bellingcat und Correctiv diese Überprüfung.

Behauptet ein Nutzer mit großer Reichweite beispielsweise, der Zweite Weltkrieg sei allein auf wirtschaftliche Sanktionen gegen Nazi-Deutschland zurückzuführen, stufen die Prüfer dies als irreführend ein. Die Plattformen markieren den Post und verlinken auf eine vertrauenswürdige Quelle zu den Kriegsursachen.

Außerdem wird die Reichweite der Beiträge gedrosselt. Das System ist keineswegs perfekt, wie schon die fundierte Kritik an den automatischen Uploadfiltern der sozialen Netzwerke gezeigt hat.

Doch statt dieses System zu verbessern, schafft Zuckerberg es in den gleich ganz ab. Die Faktenüberprüfung wird in die Hände der Community gelegt und damit vermeintlich demokratisiert. Auch sollen rassistische und diskriminierende Posts weniger starken Regeln unterworfen sein. Zusammengenommen dürfte das die Schleusen für (noch mehr) Desinformation sowie Hass und Hetze öffnen. Damit ein Post, der Lügen oder Falschmeldungen enthält, mit einer sogenannten „Community Note“ gekennzeichnet wird, muss ein Gros dieser Community die Anmerkung als hilfreich markieren.

Die Entscheidung über die Frage, was falsch ist, könnte künftig also in den Händen derjenigen Gruppe liegen, die am schnellsten viele Menschen für ihre Ansicht mobilisieren kann. Es ginge also nicht um Kategorien wie „wahr“ und „falsch“, sondern um die Macht der Stärkeren in einem Kampf der Narrative.

Sich allein auf die Macht der Stärkeren zu stützen, ist für die Demokratie schädlich. Sie basiert auf dem Willen der Mehrheit, aber sie garantiert den Schutz aller Bürger, einschließlich Minderheiten. Das ist die Bedeutung der Grundrechte. Es darf in einer liberalen Demokratie keine Spielräume für Rassismus oder Diskriminierung geben, weil die Mehrheit damit einverstanden ist.

Deshalb gibt es in Deutschland und Europa eine ausgefeilte Rechtsprechung, die Meinungsfreiheit und andere Rechtsgüter wie die Persönlichkeitsrechte abwägt. Eine eindimensionale Sicht auf Meinungsfreiheit ohne die Berücksichtigung anderer Grundrechte ignoriert die Komplexität und Stärken der Demokratie. Sorgen um die Verrohung von Debatten sind daher kein Angriff auf die freie Rede, sondern eine notwendige Reflexion über den Schutz demokratischer Strukturen.

Zuckerberg begründet diesen Schritt mit einer Rückkehr zur Meinungsfreiheit und versteigt sich sogar zur Behauptung, er sei durch Druck der US-Regierung zum Löschen wahrheitsgemäßer Inhalte gezwungen worden.

Diese Wandlung vom Saulus zum Paulus ist nicht glaubwürdig. Immerhin hat Zuckerberg selbst die Leitlinien zur Moderation von Inhalten maßgeblich bestimmt. Plattformen wie Meta haben das automatische Herausfiltern von Inhalten eingeführt, die zwar nicht illegal, aber kontrovers sind. Das grundsätzliche Problem liegt nicht darin, dass Zuckerberg angeblich Getriebener einer Regierungsagenda war, sondern dass er die Macht besitzt zu bestimmen, was auf seiner Plattform im demokratischen Diskurs gesagt werden darf und was nicht.

Als neues Vorbild benennt Zuckerberg nun die Regelungen auf Plattform X. Wohin die neuen Facebook und Instagram führen können, ist dort zu beobachten. Seit Elon Musk die Faktenprüfung abschaffte und durch leicht manipulierbare Community Notes ersetzte, florieren Desinformationskanäle und Hate-Speech-Multiplikatoren. Laut einer Analyse der University of Southern California stiegen zwischen Januar 2022 und Juni 2023 Hasspostings um 50 Prozent, rassistische Inhalte um 43 Prozent und homophobe Beiträge um 30 Prozent. Transphobe Verunglimpfungen nahmen sogar um 260 Prozent zu. Auch bei Meta gibt es Entwicklungen, die darauf hindeuten, dass queerer Content und vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten zurückgedrängt werden. Manche feiern das als Sieg der Meinungsfreiheit über eine „Woke Agenda“. Demokratisch ist es nicht.

Zuckerbergs Argument, die Abschaffung der Faktenchecks stärke die Meinungsfreiheit – und damit die Demokratie –, ist daher heuchlerisch. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Faktenprüfung die Anfälligkeit für Desinformation reduziert und zu einem ausgewogenen Meinungsbild beiträgt – über Parteigrenzen hinweg. Auch bleibt Zuckerberg eine Erklärung schuldig, warum Fakten der Meinungsfreiheit überhaupt entgegenstehen sollten. Doch Meta ist ein privates Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel, Marktmacht, Umsatz und Gewinn zu steigern. Externe Faktenchecks sind teuer und erzielen keinen finanziellen Mehrwert. Zudem dürfte Zuckerbergs Schritt dem Selbstschutz dienen, da der neue US-Präsident einen tiefen Groll gegen Meta hegt und Facebook schon einmal als „Feind des Volkes“ bezeichnete.

Unternehmer müssen realpolitisch handeln. Idealismus können sie sich wohl nur dosiert leisten. Doch hier liegt das Problem: Zuckerberg gehört zu den politisch einflussreichsten Menschen der Welt. Demokratisch legitimiert ist diese Macht nicht. Der Einfluss von Plattformen wie Facebook, Tiktok und X ist so groß, dass sie demokratische Systeme ins Wanken bringen können, wie es beim Sturm auf das Kapitol oder beim Datenskandal rund um Cambridge Analytica geschah.

Wer die Demokratie stärken möchte, sollte daher nicht die Einführung von Community Notes feiern, sondern eine wahre Demokratisierung von Plattformen fordern: Indem die Plattformen die Funktionsweisen ihrer Empfehlungsalgorithmen offenlegen. Indem Nutzer endlich Hoheit über ihre Daten erlangen. Und indem wir eine ernsthafte Debatte darüber führen, ob wir uns als liberale Demokratie eine Dominanz einzelner Personen über Informationen und Kommunikation gebündelt in Plattformen wie Meta überhaupt leisten können.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Bundesjustizministerin a.D. und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.