Internationaler Tag der Solidarität mit Belarus

In Belarus, demonstrieren die Menschen nach wie vor gegen die Unterdrückungen des Machthabers Lukaschenko und kämpfen für ihre Freiheitsrechte. Swetlana Tichanowskaja, im EU-Exil lebende belarusische Oppositionsführerin, hat dazu aufgerufen, den 7. Februar als internationalen Tag der Solidarität mit Belarus zu begehen.

Am 7. Februar erhielt Maria Kalesnikava im Theaterhaus Stuttgart den Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum Stiftung.

Die dramatischen Bilder aus Minsk, Hrodno oder Wizebsk, die uns im Sommer und Herbst 2020 in Atem hielten, sind aus unseren Nachrichten verschwunden. Doch Europa muss sich auf den Tag nach Lukaschenko vorbereiten, meinen Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Tatsächlich sind es derzeit eher kleinere, symbolhafte Protestaktionen, die auf den bitterkalten Straßen von Minsk stattfinden. Doch weder haben die Menschen ihren Kampf gegen das repressive Regime Lukaschenko aufgegeben, noch hat dessen Brutalität nachgelassen. 189 international anerkannte politische Häftlinge sitzen in den Gefängnissen. Mehrere von ihnen stehen unter Terrorismusanklage und sind akut von der Verhängung der Todesstrafe bedroht. Unzählige werden Woche für Woche auf den Straßen festgenommen. Viele Menschen haben aus Angst um Leib und Leben inzwischen das Land verlassen. Sie engagieren sich aus Kiew, Vilnius oder Warschau für einen Wandel in ihrem Land.

Eine, die für die Freiheit in ihrem Land alles riskiert hat, ist Maria Kalesnikava. Gemeinsam mit Svetlana Tichanovskaja und Veronika Zepkalo wurde sie im Präsidentschaftswahlkampf 2020 zur weiblichen Ikone des Widerstands. Wie viele ihrer Mitstreiterinnen wollte man auch sie ins Exil abschieben. Sie wusste es zu verhindern, indem sie an der Grenze ihren Pass zerriss. Seither ist sie in Untersuchungshaft, unter fadenscheinigen Begründungen, es drohen ihr fünf Jahre Gefängnis.

Wer erfolgreich kämpfen möchte, bleibt im Land

Maria Kalesnikava hätte es sich leichtmachen können. Ihr Leben spielte sich ohnehin zwischen Deutschland und Belarus ab. 2013 schloss die Flötistin in Stuttgart Masterstudiengänge in Alter und Neuer Musik ab. Neben ihren Projekten als aktive Künstlerin bildete sie sich weiter als Speakerin und als Meisterin der Algorithmen. Sie wurde zu einem virtuosen Medienprofi. 2019 berief Viktor Babariko, Oligarch und prominenter ehemaliger Bankier, Kunstförderer und Akteur der Opposition, Kalesnikava nach Minsk mit dem Auftrag, ein Kulturzentrum aufzubauen. Seither managte sie Kulturprojekte in beiden Ländern- also Kuratorin in Stuttgart und als künstlerische Leiterin des Kulturklubs OK16 in Minsk. Babariko wurde gemeinsam mit seinem Sohn wegen angeblicher illegaler Geldgeschäfte inhaftiert, bis heute. Maria Kalesnikava übernahm als seine Stellvertreterin seine Rolle in der Politik und schloss sich auch in seinem Namen der Oppositionsbewegung um Svetlana Tichanovskaja an. Noch Anfang September gründete sie gemeinsam mit Babariko eine neue Partei: „Wmestje“ (Gemeinsam). Bevor sie am 8. September 2020 unter den bekannten Umständen festgenommen wurde.

Es war ihre Überzeugung und ihre Entscheidung, bei denen zu bleiben, die weiter vor Ort gegen Repression und Gewalt, für Freiheit und elementare Bürgerrechte kämpfen. Wie der kürzlich nach Russland zurückgekehrte Alexej Nawalny weiß sie: Wer erfolgreich kämpfen möchte, bleibt im Land, mit allen Risiken für das eigene Wohl. Nur so können langfristig politische Veränderungen gelingen. Die Menschen wollen mitgenommen werden.

Für diesen Mut und diese Entschlossenheit wird sie am 7. Februar 2021 mit dem 10.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum-Stiftung ausgezeichnet. Es ist eine Ehrung für eine außergewöhnliche Frau. Zugleich steht sie für viele andere, die unter hohem persönlichen Risiko im Land Widerstand leisten. Oder die ins Exil gehen mussten, ihre Lebensgrundlage verloren haben und auf baldige Rückkehr in ein offeneres, demokratisches Belarus hoffen.

Der Preis ist zugleich eine Mahnung an uns Europäer: Wir reklamieren die Würde des Menschen, Menschenrechte und Freiheit als Grundlagen unserer Wertegemeinschaft. In unserer unmittelbaren Umgebung kämpfen derzeit Europäerinnen und Europäer für diese Werte. Sie zu unterstützen, ist für uns eine Frage unserer Glaubwürdigkeit.

All dies reicht nicht: Wir müssen mehr machen

Es sind bereits richtige Schritte unternommen worden. Die EU hat 24 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, den Großteil für humanitäre Hilfe und Stipendien für aus politischen Gründen exmatrikulierte Studierende. Richtig war auch die Entscheidung des Internationalen Eishockeyverbands, die diesjährige Weltmeisterschaft nicht wie geplant in Minsk auszutragen. Die Anerkennung des Koordinierungsrates unter Leitung von Svetlana Tichanovskaja als übergangsweise Vertretung des belarusischen Volkes ist ebenso ein wichtiges Zeichen.

Doch all dies reicht nicht. Wenn es uns ernst ist mit den Menschenrechten, dann müssen und können wir mehr tun, um ihrer dauerhaften Missachtung in Belarus möglichst bald ein Ende zu setzen. Dazu gehört mehr Druck auf das Regime Lukaschenko. Individuelle Sanktionen sollten auf die zweite Reihe in Justiz und Sicherheitsbehörden ausgeweitet werden. Dokumentationen über die Menschenrechtsverletzer gibt es genug. Dazu gehört massive Unterstützung der freien Medien, deren Journalisten vor Ort unter hohem Risiko arbeiten. Dazu gehört unbürokratisches und schnelles Handeln im humanitären und Visa-Bereich.

Nicht zuletzt müssen die Europäer sich aber ernsthaft auf den Tag nach Lukaschenko vorbereiten. Wann dieser Tag kommt und wie er sich gestalten wird, kann niemand wissen. Er klammert an der Macht und wird bislang noch von Moskau unterstützt. Eines kann man jedoch schon heute sagen: Ein Belarus im Wandel wird massive und langfristige Unterstützung benötigen, soll es wirtschaftlich nicht zusammenbrechen oder vollständig unter russischen Einfluss geraten. Die Zeit, diese Unterstützung vorzudenken, ist jetzt.

Dieser Beitrag erschien erstmalig am 04.02.2021 bei Focus Online.